Druckspitzen in geschlossenen Systemen
11. February 2025

Die unterschätzte Gefahr in druckhaltenden Systemen und wie sie vermieden werden kann
Druckspitzen in geschlossenen Systemen können erhebliche Schäden an Anlagen verursachen und sind komplexer als auf den ersten Blick gedacht. Doch was genau sind Druckspitzen, wie entstehen sie, und wie können Systeme davor geschützt werden? Wir tauchen in dieses Thema ein und erklären, welche Rolle präzise Messungen bei der Gewährleistung von Sicherheit und Effizienz in Drucksystemen spielen.
Was sind Druckspitzen?
Druckspitzen sind abrupte, kurze und intensive Druckanstiege in einem geschlossenen System. Sie entstehen vermehrt durch dynamische Druckbelastungen, wenn sich die Fliessgeschwindigkeit plötzlich ändert. Solche Druckspitzen sind in Flüssigkeits- und Gaszuleitungen häufig, können aber auch in anderen Anwendungen, wie hydraulischen oder pneumatischen Anlagen vorkommen. Ein plötzlicher Druckanstieg kann die Sicherheit und Langlebigkeit von Anlagen erheblich beeinträchtigen und zu Schäden an Komponenten wie Lecks und Rohrbrüchen oder sogar zum Ausfall ganzer Systeme führen.
Insbesondere in Flüssigkeitssystemen wie Wasserleitungen entstehen dabei grosse Kräfte, da Flüssigkeiten eine grössere Dichte und damit mehr Masse pro Volumen haben als gasförmige Medien. Dies führt zu einer grösseren Krafteinwirkung. Zudem sind Flüssigkeiten kaum komprimierbar, wodurch die übertragenen Kräfte ohne nennenswerte Dämpfung direkt weitergeleitet werden.
Entstehung von Druckspitzen
Druckspitzen treten auf, wenn die Bewegung des Fluids in einem System abrupt gestoppt oder verändert wird. Dies kann etwa durch schnelles Schliessen oder Öffnen eines Ventils verursacht werden. Die Folge ist eine Druckwelle, die sich durch das System ausbreitet.

Exkurs in die Physik
Zum besseren Verständnis der Thematik wollen wir kurz auf einige zugrundeliegende physikalische Prinzipien eingehen.
Newtons drei Gesetze der Bewegung
Trägheitsgesetz: Ein Körper (hier das Fluid) bleibt im Zustand der Ruhe oder der konstanten Bewegung, sofern keine äussere Kraft auf ihn einwirkt.

Aktionsprinzip: Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung.

Wechselwirkungsprinzip: Aktion gleich Reaktion; Jede bei der Wechselwirkung zweier Massen wirkende Kraft erzeugt eine gleich grosse, entgegengesetzte Kraft.
Oder: Übt Körper A eine Kraft auf Körper B aus, so übt Körper B auf Körper A die gleiche Gegenkraft aus. Dabei sind Kraft und Gegenkraft gleich gross, aber genau entgegengesetzt gerichtet.

Bernoulli-Effekt
Die Bernoulli-Gleichung beschreibt die Energieerhaltung in einem strömenden Fluid. Etwas vereinfacht sagt sie aus, dass in einem strömenden Medium der Gesamtdruck (bestehend aus statischem Druck, dynamischem Druck und hydrostatischem Druck) konstant bleibt.

Daraus folgt, dass bei steigender Durchflussgeschwindigkeit und gleichbleibendem hydrostatischem Druck der statische Druck abnehmen muss, da die kinetische Energie des Fluids zunimmt.
Dieses Prinzip spielt auch eine Rolle bei der Funktion von Flugzeug-Tragflächen. Das asymmetrische Tragflächenprofil und der Anstellwinkel sorgen dafür, dass die Luft über die Oberseite schneller strömt als an der Unterseite. Dadurch entsteht ein Druckunterschied. Auf der Oberseite bildet sich ein Unterdruck, während unten ein höherer Druck herrscht. Zusätzlich wird die Luftströmung nach unten abgelenkt, was nach dem 3. Newtonschen Gesetz eine Auftriebskraft nach oben erzeugt. Die Kombination aus Bernoulli-Effekt und Impulserhaltung ermöglicht so den Flug.

Für unsere Betrachtungen ist das insbesondere bei der Bildung von Gasblasen im Medium interessant, in Verbindung mit dem folgenden Punkt.
Druckstoss
Der «Druckstoss» ist das klassische Beispiel für Druckspitzen und ist auch als «Joukowsky-Stoss», «Druck-» oder «Wasserhammer» bekannt. Dieser Effekt tritt auf, wenn eine Flüssigkeit gezwungen wird, plötzlich ihren Fluss zu stoppen oder die Fliessgeschwindigkeit stark verändert wird, was zu einem schlagartigen Druckanstieg führt.
Ist das Medium in Bewegung und wird von einem Widerstand gestoppt, wandelt sich die Kraft der Bewegungsenergie in Druck um. Dies setzt sich vom Hindernis aus rückwärts im Medium fort und breitet sich als Druckwelle mit Schallgeschwindigkeit im System aus.
Kann die Energie nicht durch Kompression von Gas (-Anteilen) im System abgebaut werden, bleibt nur die Verformung der Leitungen und Armaturen. Im schlimmsten Fall kommt es zum kompletten Materialversagen und Bersten von Komponenten oder Verbindungen. Aber auch vermeintlich rein elastische Verformungen (Schwingen / Vibration) sind nicht zu unterschätzen, denn oft gehen sie mit Mikro-Bruchbelastung in Form kleiner Risse im Material einher. So werden neue Angriffsstellen für spätere Druckspitzen oder Korrosion geschaffen. Auf Dauer erhöht sich dieses Risiko.
Bildlich gesprochen könnte man fast sagen, der Druckstoss tastet das System ab und sucht eine Schwachstelle, um auszubrechen. So kann er problemlos mehrere Kilometer zurücklegen und vom anderen Ende mehrfach in Leitungen hin und her reflektiert werden, bis seine Energie aufgebraucht ist. Folglich können auch Anlagenteile in druckhaltenden Systemen betroffen sein, die nicht unmittelbar in der Nähe der Ursache liegen.
Ein gut bekanntes Alltagsbeispiel ist der oft hör- und spürbare Schlag beim schnellen Schliessen des Wasserhahns zu Hause. Bei Leitungen und Armaturen im industriellen Massstab tritt dieses Phänomen ebenfalls auf, nur sind die Dimensionen und Kräfte meist deutlich grösser. Ein typischer Risikofall ist hier der plötzliche Stopp einer Pumpe. Dieser verändert zum einen direkt die Fliessgeschwindigkeit und den Druck. Oftmals ist aber auch der Rückfluss des Mediums in Zu- und Ableitungen verantwortlich. Sind Rückschlagventile oder -klappen vorhanden, schützen diese zwar die Pumpe vor dem zurückströmenden Medium, können aber ihrerseits eine Druckwelle im Rest des Systems verursachen, weil sie den Durchfluss abrupt unterbrechen.



Kavitation
Ein vielleicht weniger bekanntes Problem in Flüssigkeitssystemen ist die sogenannte Kavitation. Sie tritt auf, wenn der Druck in einer Flüssigkeit so stark abfällt, dass sich Dampfblasen bilden. Sobald der Druck wieder ansteigt, kollabieren diese Dampfblasen abrupt. Bei einer solchen Implosion entstehen massive Druckspitzen. Die Flüssigkeit strömt mit hoher Geschwindigkeit in den Hohlraum, der durch die plötzliche Abwesenheit des Gases entstanden ist. Die beschleunigte Flüssigkeit wird dann wiederum abrupt durch die von der anderen Seite einströmende Flüssigkeit gestoppt, und gibt ihre Bewegungsenergie als Druckwelle ab, die sich im System ausbreitet.

Diese Grafik veranschaulicht das Prinzip der Kavitation. Wenn eine Flüssigkeit durch eine Engstelle strömt, steigt die Strömungsgeschwindigkeit, wodurch der Druck gemäss der Bernoulli-Gleichung sinkt. Fällt der Druck unter den Dampfdruck der Flüssigkeit, bilden sich Dampfblasen. Nach der Engstelle steigt der Druck wieder an, wodurch die Blasen schlagartig kollabieren. Dampfblasen können bei starken Druckschwankungen, Unterdruck oder Vakuum entstehen. Am häufigsten bilden sie sich an sich schnell bewegenden Teilen, wie Turbinen, Schiffspropellern oder Laufrädern von Strömungspumpen. Das hängt damit zusammen, dass das Fluid vom Bauteil weggedrückt und dabei lokal stark beschleunigt wird. Gemäss der Bernoulli-Gleichung nimmt der statische Druck mit erhöhter Geschwindigkeit ab. Dies führt zur Bildung von Dampfblasen.
Wer bei Dampf direkt an Hitze denkt, sollte berücksichtigen, dass verringerter Druck ebenfalls den Siedepunkt senkt. Hohe Temperaturen begünstigen und verstärken Kavitation zwar, massgeblich sind aber die Druckschwankungen. Kavitation kann bei jeder Temperatur in Flüssigkeiten auftreten. Umgekehrt kann durch eine Erhöhung des Drucks die Bildung von Dampfblasen verhindert werden, selbst bei hohen Temperaturen.
Eine stabile Druckregelung ist daher entscheidend, um Kavitation zu vermeiden und die Lebensdauer von Komponenten zu verlängern. Auch kleine Dampfblasen verursachen beim Zusammenfallen erstaunlich hohe Druckspitzen und lokal auch hohe Temperaturen.
Wassersäulen-Trennung: Wasserhammer mit Kavitationseffekt
Der Super-GAU für jedes Leitungssystem ist wohl die sogenannte Wassersäulen-Trennung – ein Wasserhammer, der zu einem starken, grossflächigen Kavitationseffekt führt. Dieses Phänomen ist für viele katastrophale Rohrbrüche in grossen Kraftwerken und Pipelines verantwortlich.

Beim Joukowsky-Stoss entsteht neben dem eigentlichen Druckstoss gleichzeitig ein Effekt auf der gegenüberliegenden Seite des Systems, den man als «Druckzug» bezeichnen könnte. Genauso, wie sich in Bewegungsrichtung des Mediums der Druck erhöht, weil die kinetische Energie des Mediums in diese Richtung gerichtet ist, verringert sich am anderen Ende der Druck entsprechend, weil die Kraft hier «zieht».
Im Extremfall fällt dabei der Druck in einem grösseren Volumen unter den Dampfdruck der Flüssigkeit und es entstehen nicht nur kleine Dampfblasen im Medium, sondern ganze Rohrabschnitte sind komplett mit Dampf gefüllt. Solch eine Trennung der Flüssigkeitssäule ist extrem gefährlich. Wenn der Dampf kollabiert und die Flüssigkeit wieder aufeinandertrifft, entsteht eine äusserst starke Implosion, für die kaum ein System ausgelegt ist. Die Schäden sind meist katastrophal.
In der Praxis sind Rohrleitungssysteme oft deutlich komplexer als ein einfaches, gerades Rohr mit zwei Enden. Die Trennung der Wassersäule kann daher auch an anderen Stellen im System auftreten, wie etwa an Biegungen, Verzweigungen, verschlossenen Rohrenden oder höher gelegenen Punkten. Diese Komplexität erschwert die Vorhersage der genauen Orte und Auswirkungen solcher Effekte erheblich.
Präventionsmassnahmen
Simulationen
Druckspitzen lassen sich berechnen und vorhersagen. Für genaue Analysen wird dies jedoch schnell komplex, da viele Parameter und Wechselwirkungen berücksichtigt werden müssen. Hier kommen moderne Computersimulationen wie beispielsweise MATLAB (https://ch.mathworks.com/products/matlab.html) ins Spiel.
Darin wird das System virtuell abgebildet und unter verschiedenen Bedingungen simuliert, z. B. beim plötzlichen Schliessen eines Ventils oder bei einem Pumpenstopp. MATLAB berechnet in kleinen Zeitintervallen, wie sich Druck, Fliessgeschwindigkeit und andere Parameter beim Betrieb der Anlage über die Zeit entwickeln. Dies ermöglicht eine Vorhersage, wo und wann Druckspitzen auftreten könnten.
Die Simulationsergebnisse ermöglichen eine gezielte Optimierung des Systems. Anhand der simulierten Druckverläufe können geeignete Gegenmassnahmen geplant und entsprechende Abschnitte mit Schutzvorrichtungen ausgestattet werden. So können Druckspitzen entweder von Anfang an vermindert, oder die schlimmsten Auswirkungen abgefangen werden.
Computeranalysen können exakte Ergebnisse liefern, sofern sie korrekt eingerichtet sind. Das Modell muss mit den richtigen Angaben über das System, das verwendete Medium und mögliche äussere Einflussfaktoren gefüttert werden. Nur so können die Ergebnisse verlässlich die Realität abbilden.
Schutzkomponenten
Druckspitzen lassen sich in der Praxis kaum vollständig vermeiden, doch ihre Auswirkungen können durch gezielte Massnahmen deutlich reduziert werden. Der Einsatz von Druckdämpfern, Druckminderer, sich langsam schliessenden Ventilen und vielen weiteren Schutzkomponenten sind bewährte Methoden, um Druckspitzen abzufangen und zu dämpfen:
- Druckminderer reduzieren den Systemdruck auf ein sicheres Niveau, um die Intensität von Druckspitzen zu verringern. Sie werden häufig in Rohrleitungssystemen und in der Industrie verwendet, um unkontrollierte Druckanstiege abzufangen.
- Druckdämpfer dämpfen Druckspitzen, indem sie überschüssige Energie aufnehmen und freigeben. Sie bestehen oft aus elastischen Membranen oder Kammern mit komprimierbarem Gas. Besonders effizient sind sie in Flüssigkeitssystemen, bei denen die Masse und die Unkomprimierbarkeit der Flüssigkeit Druckwellen verstärken können.
- Langsam schliessende Ventile verringern Druckspitzen, die durch das abrupte Schliessen von Ventilen entstehen («Wasserhammer»). Sie arbeiten mit Dämpfungssystemen, um das Schliessen sanfter und gleichmässiger zu gestalten.
- Sicherheitsventile öffnen sich bei einem bestimmten Überdruck, um überschüssigen Druck kontrolliert abzulassen. Sie schützen Anlagekomponenten wie Rohre, Pumpen oder Behälter vor Überdruckschäden.
- Rückschlagventile verhindern, dass Flüssigkeit oder Gas durch Rückströmung unerwünschte Druckspitzen erzeugen. Sie wirken besonders in Verbindung mit Pumpensystemen, wenn der Durchfluss abrupt stoppt.
- Blasenspeicher oder Akkumulatoren speichern überschüssige Flüssigkeit oder Gas in einem System und geben sie bei Bedarf wieder ab, um Druckstösse auszugleichen. Sie sind besonders hilfreich bei pulsierenden Pumpen oder hochdynamischen Systemen.
- Rohrbögen oder flexible Verbindungen ändern gezielt den Strömungsweg oder reduzieren die Steifigkeit von Leitungen, um Druckspitzen abzufedern.
Unterstützung durch intelligente Sensorik
Sensoren wie Drucktransmitter oder digitale Manometer sind essenziell, um ein System vor Druckspitzen zu schützen. Sie ermöglichen es, Annahmen und Simulationsergebnisse zu validieren und zu überprüfen, ob die installierten Schutzkomponenten die gewünschte Wirkung haben. Bei bestehenden Problemen sind sie oft unerlässlich, um den Ursachen auf die Spur zu kommen.
Eine kontinuierliche Sensorüberwachung an kritischen Punkten während des Betriebs bietet viele Vorteile. Sie erfasst Druckspitzen in Echtzeit und ermöglicht automatisierte Reaktionen, etwa wie das Öffnen oder Schliessen von Ventilen. Darüber hinaus werden nicht nur Ausfälle von System- und Schutzkomponenten direkt erkannt, sondern im Idealfall auch verhindert. Veränderungen in den Langzeitdaten können auf Abnutzungserscheinungen und kleine Defekte hinweisen, die frühzeitig behoben werden können.
Für eine effektive Überwachung bietet sich ein intelligentes System an, das zuständige Mitarbeitende bei Auffälligkeiten automatisch alarmiert, z.B. per Mobilfunknetz, E-Mail oder über eine IoT-Schnittstelle und Cloud-Anwendung. Dadurch wird eine schnelle Reaktionszeit gewährleistet, um potenzielle Schäden zu minimieren.
Wartung und Unterhalt
Die sorgfältige Auswahl und Platzierung von Schutzkomponenten sowie die regelmässige Wartung und Kalibrierung aller Systeme sind ebenfalls entscheidend, um Druckspitzen zu minimieren und Schäden zu verhindern.
Messgeräte als Werkzeuge um Druckspitzen zu erfassen und analysieren
Mit unseren piezoresistiven Drucktransmittern, digitalen Manometer und Logger- und Softwarelösungen bieten wir entscheidende Werkzeuge, um den Druck in geschlossenen Systemen präzise zu messen und Druckspitzen zu erfassen und analysieren.
KELLER Sensoren liefern präzise Daten, sind langzeitstabil und ermöglichen so eine verlässliche Überwachung des Systems und somit die Detektion von Druckspitzen. Auch Softwarelösungen zur Datenanalyse sind wichtig, um präventive Massnahmen zu planen und das System zu optimieren.
Druckerfassung
Ein piezoresistiver Drucktransmitter misst den Druckverlauf, einschliesslich Druckspitzen. Standard Drucktransmitter von KELLER bieten mit einer Grenzfrequenz von > 1kHz die Grundlage, um schnelle Druckspitzen zu erfassen. Die Y-Line standardmässig mit 1 kHz, die X-Line für den 3-Leiter Spannungsausgang ebenfalls mit > 1 kHz. Für noch schnellere Messungen ist der 21PHB mit 20 kHz verfügbar.
Datenanzeige
Digitale Manometer zeigen die Werte in Echtzeit an und speichern den Maximalwert.
Analyse und Optimierung
Software analysiert die Daten, um Druckspitzen zu verstehen und Gegenmassnahmen abzuleiten.
Fazit
Druckspitzen stellen in vielen industriellen Anwendungen eine grosse Herausforderung dar, können jedoch durch eine Kombination aus guter Planung, präventiven Massnahmen und modernster Messtechnik kontrolliert werden. Durch gezielte Überwachung und Analyse lassen sich Schäden vermeiden und die Betriebssicherheit deutlich erhöhen.